Lange Schlangen gab es weder in Frankfurt noch in New York. Das lag allerdings nicht an mangelndem Zuspruch, wenngleich dieser spürbar geringer ist als beim iPhone. Zum Verkaufsstart am 24. April konnte man die Apple Watch nur online bestellen, modellabhängig mit zunehmender Wartezeit. Inzwischen läuft es besser. Vier Wochen ist sie nun im Dienst, und eines vorneweg: Der Akku ist nicht so schlecht wie sein Ruf.

Retro-Look? Vermutlich unbeabsichtigt, Ähnlichkeit zum Ur- iPhone besteht allerdings.
Äußeres | Weder rund, noch flach, und weit entfernt von der Vorbildfunktion eines iPad. Will man ihr schmeicheln, oder selbst mehr Gefallen finden, betrachtet man die Apple Watch als Hommage an das iPhone 3g, das heute Sammler- und Liebhaberstück ist. Die Ähnlichkeit ist sicher ungewollt, aber nicht von der Hand zu weisen. Die Materialien gleichen dagegen durchaus denen einer guten Uhr: Zwar ist das Metallgehäuse auch ebenso kratzempfindlich, das Display aus Saphirglas dafür nahezu unverwüstlich. Das günstigere Sportmodell aus eloxiertem Aluminium hat ein Display aus Aluminiumsilikat; das ist nicht ganz so hart wie Saphirglas, aber dennoch robust. Funktional sind beide gleich, werden per Induktion geladen, besitzen einen Pulsmesser, und neben einem Funktionsknopf eine Krone, die als Scrollrad die Bedienung auf dem Display unterstützt.

Durch Verschieben werden die Apps vom Rand größer (hier Skype) – die anderen aber auch verschwindend klein (Mail). Ideal ist anders.
Apps nutzen | Die Bedienung ist einfach. Ein Druck auf die Krone öffnet die optisch nette App-Übersicht, die mit zunehmender App-Anzahl den Namen „Übersicht“ allerdings nicht mehr verdient. Immerhin kann man das App-Gestirn auf der Suche nach einer bestimmten App hin und her schieben. Schön schnell geht´s mit Hilfe des Sprachassistenten Siri: „Starte Wunderlist“ holt unvermittelt die renommierte ToDo-List hervor; der englische App-Name „OneNote“ bereitet allerdings Probleme – im 3. Versuch klappte es schließlich mit „Starte ohnenote“, gesprochen wie gelesen. Dennoch: Siri ist auf der Apple Watch eine Hilfe. Aus einer Benachrichtigung heraus kann man die zugehörige App natürlich auch direkt starten. Welche Mitteilungen auf die Watch kommen, lässt sich steuern, gelegentliche Verzögerung sind aber nicht ausgeschlossen. Schnellen Zugriff auf die Lieblings-Apps bieten auch sogenannte Checks, die mit einer Wischgeste auf dem Display erscheinen. „Checken“ kann man nicht nur Infos wie Aktienkurse, sondern auch Aufgaben abhaken oder den zuletzt gehörten Song wieder anstarten.

Menüstruktur „über“ und „unter“ dem Hauptbildschirm: wie beim iPhone zieht man von oben die Benachrichtigungen runter; neu sind so genannte Checks, die sich von unten über die Uhr schieben; die abgebildeten Checks v.l.n.r.: Status der Apple Watch, Ladezustand, Soundhound mit Lyrics, Karten (auch Navigation möglich), OneFootball
Wischen nach rechts oder links führt zum nächsten Check, Antippen startet die komplette App. Auswahl und Reihenfolge der Checks legt man auf dem iPhone fest. Einige Checks hatten im Test noch Schwächen, aber Softwareprobleme sind bekanntlich per Update lösbar: Manche lieferten keine Informationen, wenn die eigentliche App länger nicht geöffnet wurde; bei anderen enttäuschte die Funktion: Soundhound beispielsweise zeigt im Checkfenster den zuletzt erkannten Titel mit Lyrics. Das ist sicher nett; den Button zur Lied-Erkennung sucht man aber hier vergeblich und muss dafür erst die komplette App öffnen. In Bildern, langen Texten oder Listen hilft die Krone beim Scrollen oder Zoomen. Ein fester Druck auf das Display, der so genannte Force Touch, öffnet das App-Menü. Weil diese neue Geste so ungewöhnlich wie auch gewöhnungsbedürftig ist, bleibt die Erforschung des App-Menüs, das ohnehin nicht in jeder App vorhanden ist, anfänglich auch schon mal auf der Strecke.

Checks zeigen nur einen Ausschnitt, volle Funktionalität bieten erst die Apps. V.l.n.r: Wunderlist, Karten und Smarthome-Steuerung des Stimmungslichts von Avea

Die Apple Watch App zeigt oben die nativen Apple Watch Apps, unten automatisch die, bereits installierten, die zur Uhr kompatibel sind.
Wo liegen die Apps? | Bislang steuern Apps von Drittanbietern vornehmlich die auf dem iPhone laufende Original-App, andere, unabhängige Apps kommen erst noch. Aber schon die Bedienung über die Uhr, ohne das iPhone hervor zu holen, hat ihren Reiz. Einkauf oder Aufgabe abhaken, Fahrplan-Check, Taxi bestellen (myTaxi gibt´s auch bereits für die Uhr) – oder was man sonst so mit seinem iPhone macht, ist wohl bei jedem was anderes. Kompatible Apps auf dem eigenen iPhone werden automatisch zur Übernahme auf die Watch angeboten. Neue Apps haben im App-Store den Hinweis „Apple Watch App möglich“. Man muss den Watch-Part aber nicht nutzen, wenn man die Uhr nicht überfrachten will, auf der es bislang auch weder Ordner noch mehrere Home-Screens gibt. Facebook und WhatsApp tauchten im ersten Monat übrigens noch nicht in der Kompatibilitätsliste auf. Im Test kommunizierten Uhr und iPhone zuverlässig. Wenn sie getrennt werden, absichtlich oder durch die Entfernung, leuchtet ein rotes, durchgestrichenes Handysymbol auf der Watch. Ausnahme: Aktiviert man über die Apple Watch für beide den Flugmodus, kann man ihn auf dem iPhone natürlich nicht auch wieder remote deaktivieren, weil Bluetooth aus ist. Die Uhr zeigt das in diesem Fall aber nicht an. Sobald Bluetooth bei beiden wieder aktiv ist und die Reichweite passt, finden sie sich augenblicklich wieder – und das klappt bei Apple deutlich besser als bei Samsungs Gear S. Größere Datenmengen, wie zur Navigation, fordern die Geduld allerdings schon mal heraus, zumal diesmal die Apple Watch das Nachsehen hat, weil sie im Gegensatz zur Gear S kein eigenes GPS besitzt, und auf das Phone angewiesen ist.

Die Kurzwahlliste für bis zu 12 Kontakte erscheint aus jeder App heraus durch Drücken der seitlichen Taste.
Telefonieren | Die Apple Smartwatch hat auch keine eigene SIM. Gespräche laufen über das iPhone, was aber gut funktioniert. Man kann Gespräche entgegen nehmen und über Siri, die Kontakte-App, Anruf- oder Kurzwahlliste einleiten. Deren 12 Einträge sind unabhängig von der Favoritenliste im iPhone. In der Kontaktliste bringt einen schnelles Drehen der Krone zügig zum gesuchten Anfangsbuchstaben, von da aus geht´s langsamer zum eigentlichen Kontakt weiter. Der eingebaute Lautsprecher ist nicht laut, und die an den Gesprächspartner übermittelte Sprachqualität nicht die beste. Verwendet man aus diesem Grund ein Headset muss man das dann allerdings mit dem iPhone koppeln, denn die Uhr überträgt an ein verbundenes Bluetooth-Headset nur Musik. Kommt bei laufender Musik ein Anruf rein, schaltet sie auf den kleinen Lautsprecher um. Hier ist also ebenfalls noch Luft für Verbesserungen.

Die Player-App mit gewohnter Optik (links). Über den Force-Touch (festen Druck auf das Display) gelangt man zur Quellenauswahl (rechts) und steuert anschließend entweder das iPhone oder hört die Musik auf der Watch über ein Bluetooth-Headset.

Check-Fenster zur schnellen Player-Steuerung
Musik | Apples Musik-App gehört augenblicklich noch zu den wenigen eigenständigen Apps für die Watch. Sie steuert einerseits den Player auf dem iPhone, spielt aber auch direkt Titel von der Uhr. Das macht aus der Apple Watch noch keinen iPod: Das Song-Volumen ist auf genau eine Playlist zu maximal 2 der 6 Gigabyte Watch-Speicher begrenzt, die direkt vom iPhone auf die Uhr synchronisiert werden. Das dauerte für 47 Titel aus den aktuellen Charts 42 Minuten, in denen die Uhr mit dem Ladekabel verbunden sein muss. Die Vorgehensweise mit weiteren Details ist gut auf der Homepage von Apple beschrieben. Die Präferenz für die Watch-List verlor die Player-App jedoch immer wieder und startete beim nächsten mal beharrlich den Player auf dem iPhone über dessen Lautsprecher. Immer wieder neu musste also umständlich über das Menü die Quelle geändert und die eigentlich ohnehin einzige auf der Uhr mögliche Playlist ausgewählt werden. Anschließend sucht die Uhr automatisch das Headset und legt los. Über die Mini-Speaker kommt in diesem Fall kein Pieps – wäre vermutlich auch kein Vergnügen.

Schon wieder zu lange nur gesessen?
Fitness | Der Activity-Tracker der Apple Watch forciert drei Ziele: eines lautet schlicht, mehr Zeit im Stehen oder mit Bewegung zu verbringen anstatt mit Sitzen, und wird mit aktiven Erinnerungen unterstützt. Ein weiteres sind möglichst viele Minuten aktiver Bewegung – Tanzen, Radfahren, oder flott Gehen. Und das dritte, auf Basis der beiden ersten, ist die angestrebte Kalorienverbrennung. Die Erreichung der Ziele symbolisieren verschiedenfarbige Ringe, die sich im Tagesverlauf langsam schließen – oder auch nicht. Darüberhinaus ist eine Workout-App installiert, die man unter anderem auch auf dem Crosstrainer, dem Rudergerät oder Stepper verwenden kann. Und natürlich sind auch schon einige Drittanbieter-Apps reif für die Apple Watch, darunter Runtastic Pro GPS, RunKeeper und komoot.
Zeitanzeige | Ja, die Zeit zeigt sie auch an… Einige der verschiedenen Zifferblätter, „Watch-Faces“, kann man um Infos zu Batteriestatus, Temperatur gemäß Wetter-App, Sonnenauf- und Untergang, für den nächsten Termin, oder eben auch den Aktivitätsstatus ergänzen. Per Druck auf die Krone gelangt man aus jeder App zur Uhr, durch Doppelklick auf die Krone wieder zur App zurück.

Verschiedene Watch-Faces, mit und ohne zusätzliche Informationen

Bei schwachem Akku wechselt die Batterieanzeige die Farbe (ob.re.). Das durchgestrichene Handy zeigt an, dass die Verbindung zum iPhone weg ist.
Akku | Ein bisschen Musik auf dem Heimweg belastet den Akku noch nicht über die Maßen, ein Training mit aktivem Pulsmesser dagegen schon. Ein sechsminütiges Telefonat kostete die Apple Watch 5 Prozent, das gekoppelte iPhone 5s knapp 3 Prozent ihrer Ladung. Mit Benachrichtigungen, normalen Apps, wenig Musik und ohne Telefonie (nur über das iPhone) hielt der Uhrenakku im Test etwa 36 Stunden, nach aktivierter Gangreserve bei 5 Prozent weitere 10. Bei Smartphones eher als Ultraenergiesparmodus bekannt, degradiert die so genannte Gangreserve die Uhr zum reinen Zeitmesser, empfiehlt sich aber nicht zum Energiesparen zwischendurch, weil sie auch bei vorzeitigem Beenden immer einen Neustart nach sich zieht. Sie verschafft aber genügend Luft vor dem endgültigen Akku-Tod, um die Apple Watch möglichst lange als solche zu nutzen. Letztlich wird man sie aber lieber allabendlich laden, um anderntags gar nicht erst bangen zu müssen. Die knopfartige Induktionsfläche, auf der die Uhr hierfür nur abgelegt werden muss, ist leider fest mit dem zwei Meter langen Kabel verbunden; hätte man beide Teile voneinander getrennt, wäre sicherlich ein Lightning-Anschluss zum Einsatz gekommen, und man wäre unterwegs flexibler gewesen.
Display | Bei aktivierter Erkennung springt das Display an, sobald man den Arm hebt. Will man die Energie für die Bereitschaft sparen, tippt man es zum Wecken kurz an. Die Beleuchtungsdauer ließ sich unter Watch OS 1.0.1 nicht verändern und erschien häufig als zu kurz. Die Lesbarkeit auf dem kleinen Display kann man dagegen durch Fettschrift und variable Schriftgrößen verbessern, zumindest in denjenigen Apps, die diese Anpassung zulassen. In der Sonne kann man das Display bei höchster Helligkeitsstufe vergleichsweise gut lesen. Einfluss nimmt auch die Farbwahl der jeweiligen App. So kann man dank weißer Schrift auf dunklem Hintergrund den Termintitel und das Datum im Kalender besser erkennen als die Wochentage in Rot.
Lohnt es sich? | Wer als iPhone-Nutzer beim Thema Smartwatch bislang nicht mitreden konnte, wird einerseits froh und neugierig sein, auf der anderen Seite sicher skeptisch. Zumal die Apple Watch auf den ersten Blick nun mal genauso wenig von einer schönen Uhr hat wie die meisten anderen Smartwatches. Bleibt Apple dran, wird sich nicht nur die Software schnell verbessern, sondern langfristig auch das Design, die Ausdauer und die Ausstattung – GPS und eine eigene SIM währen nur zwei der möglichen Kandidaten. Aber das kennt man ja vom Smartphone: Das nächste wird immer besser. Spaß macht die Apple Watch jedenfalls schon jetzt und an vielen Stellen eben auch Sinn: Wenn sich Kurznachrichten oder der Live-Ticker am Handgelenk melden, muss man nicht dauernd auf´s Handy schielen, und auch für eingehende Telefongespräche ist der stumme Alarm das eleganteste Signal. Und weil es Spaß macht, lässt man in der Praxis immer häufiger das iPhone stecken, wann immer etwas nicht allzu viele Eingaben benötigt und sich fast genauso gut über die Uhr regeln lässt: ToDo-Listen abhaken, Maileingang checken, Infos zu Wetter, Sport oder Fernsehprogramm abrufen. Und noch eine kleine Warnung, denn Siri ist nicht einfach nur die bessere Alternative für die Bedienung: Wer bislang mit dem Sprachassistenten fremdelte, könnte jetzt zum Fan der Technologie werden. Weil es schlicht funktioniert und vieles zum Kinderspiel macht. Das einfachste, vielleicht hilfreichste Beispiel: Krone drücken – oder bei entsperrtem Display „Hey Siri“ sagen –, „Erinnere mich an …“ Siris schlechte Grammatik ignorieren, bestätigen – und zum angesagten Zeitpunkt wird die Watch unauffällig am Handgelenk vibrieren. Antworten liefert Siri übrigens diskret nur schriftlich. Um es abschließend mit einem abgewandelten Apple-Slogan aus dem Jahr 2011 zu sagen: Wenn Du keine Apple Watch hast, dann hast Du keine Apple Watch. Und als iPhone-Besitzer entgeht einem da schlichtweg was. Schade nur, dass es eine ganz erhebliche Kostenfrage ist.
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